Wage dich! – Lesung in der Weserburg

By 6. Oktober 2016 Lesungen No Comments

 

Am 25. September fand die Lesung mit 15 AutorInnen
in der Ausstellung „Mir ist das Leben lieber!“
in der Weserburg Bremen statt.
In der einstündigen Lesung wurden die Geschichten,
Reflexionen und Gedichte direkt an den Kunstwerken gelesen.
Eindrücke und Texte davon gibt es hier:

Bild: Emma Bennett: Tipping (towards love), 2014
Text: Katja Jenrich

Das Schwarz hat kein Ziel.
Es kommt nicht irgendwo her oder geht irgendwo hin.

Das Schwarz gibt nicht die Richtung vor. Es hat keinen Anfang und kein Ende. Und es hat keine bösen Absichten. 
Das Schwarz ist reich und es ist kostbar. Es enthält alle Bilder unserer Erinnerung.
Auch dieses Tor, durch das das Licht fließt. Wann war das? Und wo? Für einen Augenblick nichts außer dieser Öffnung. Alles fließt heraus und es gibt kein Zurück.
Und dann dieser Stoff, der aussieht, als sei er schon jahrtausendelang lang auf der Reise. 
Er trägt das Obst im luftleeren Schwarz.  Ganz leicht schwebt es vor uns her.
Die Trauben. Sind sie tot? Oder verwandelt?
Wiedergeboren als Murmeln, die leise klirren, wenn sie sich gegenseitig berühren.
Ein Klang, ein Bild, das gesehen werden will.
Alles, was in unserem Inneren an uns vorbeischwebt, hat Sinn. Es strahlt auf und wird hell, wenn das Schwarz es will.
Das Schwarz ist nicht zu unterschätzen. Es kann so viel.
Wenn wir sterben, wird unser Schwarz die Bilder befreien, die wir mit unseren Gedanken und manchmal auch mit unserer Angst festgehalten haben.
Alles wird auf seiner Umlaufbahn durch das Schwarz fließen, die Reise beginnt.
Und wir können nichts dagegen tun… 

……

Bild: Schwontkowski, Im Park
Text: Anne Achner

Das Moor schwappt, gluckst, bricht in dunklen Wellen.
Schneller, brüllt ihr Hirn. Sie sind hinter ihr her, hinter ihr und dem Baby. Sie werden es ihr wegnehmen, ihr Kind, ihren erstgeborenen Sohn.

Meins, es ist meins, schreit sie. Horcht auf Schritte im Nebel.
Noch spielen Sonnenstrahlen auf dem kleinen Körper. Hell ist sein Gesicht und rosig die Ärmchen. Die Sonne bricht durch den Nebel, badet Wagen und Kind in Licht und Wärme.
Das Messer steckt im Kissen. Sei ruhig, bleibe still, mein Kind. In dürrem Blättern säuselt der Wind. Dunkle Bäume am Eingang zum Nichts.
Sie wollen dich holen und mit dir spielen im dunklen Reich der Alpträume.
Die Räder graben sich ein, der Matsch zieht ihr die Stilettos von den Füßen. Das Moor schwappt und gluckst. Sie musste es tun. Nebelfahnen, Erlkönigs Töchter. Nein, sie hat das Kind nicht gestohlen. Entführt aus der Entbindungsstation, wo ihr eigenes Baby erstickte. Sie hat den Wagen nicht gestohlen auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt, in dem seine Mutter einkaufte. Herr Richter, Sie müssen mir glauben. Es ist meins.
 Ruhig, mein Kind, ich komme mit. Mit ins Dunkle, das uns beschützt. Dorthin, wo uns niemand folgen kann. Dort wo wir sicher sind. Hab keine Angst, ich bin bei dir. Ich bin bei dir alle Tage, bis an der Welt Ende.

Bild: Julie Heffermann „Self Portrait as Quarry“, 2000
Text: Anke Fischer

Ich bin die Königin
deiner sieben oder zehn Gesichter
Wer kennt sie schon? Du?

Ich grabe tief in deinem Steinbruch,
grabe und grabe.

Wer zittert?

Mit gesenkten Augen, Federn, Fell
huldigt mir das Tier,

streckt Zunge und Hälse.

Der Mensch derweil
schwebt als Nachtmahr

durch die blaue Landschaft.

Dort säuselt er seine Heldentaten,
während ich die Federn spreize,
mir die Finger lecke,

Ich trage den Weltensaft in meinen Händen,
blutrot geperlte Ewigkeit,
Sehnst du?

Schau mich an
mit einem deiner Gesichter,

während ich meine Beute balsamiere.

Wage dich!
Meine Medusa lässt dich atmen,
wenn du sie ehrst!

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