Eine Woche ohne Radio, Musik, Fernsehen und Internet. Nur wir, der See, die Schreibsachen. Als wir im Gutshaus am See eintreffen, haben wir damit nicht gerechnet. Ich war bereits im vergangenen Jahr einmal zu Gast hier im Gutshaus gewesen und kannte den Ort und das Haus und seine Magie. Hier, im Gutshaus mit der Kunstakademie, treffen wir uns zum Schreiburlaub.
Woserin liegt mitten in Mecklenburg-Vorpommern. Einigermaßen bekannt ist es durch das Ferienhaus der Schriftstellerin Christa Wolf. Ihre Familie lebt noch immer hier. Als wir ein paar Tage später vor dem Ferienhaus stehen, entspricht es genau dem Typ Ferienhaus unserer Vorstellungen. Wir seufzen und nicht das erste Mal in dieser Woche, vor lauter Schönheit oder Idylle oder beidem. Idylle ohne Kitsch, geht das? Ja!
Unsere Schreibküche ist groß und hell und ihre Fenster öffnen sich zum See. Morgens treffen wir uns hier zum zweiten Kaffee und ich gebe die Schreibthemen des Vormittages aus. Die passen zum Ort und zur Landschaft, heißen „verborgene Schönheit“ oder „Findling“ oder „Farben“. Am Nachmittag, nach dem gemeinsamen Essen, wird es neue Themen geben, aber jetzt nehmen wir unsere Fotoapparate oder Handys (endlich kommen sie wieder zum Einsatz) und wir schwirren aus. Die Motive sind leicht gefunden, gar nicht so leicht ist es diese in Worte zu fassen. Literarisch soll es sein.
Nach zwei Stunden treffen wir uns wieder in der Küche, lesen unsere ersten Versuche vor, sind berührt von der Offenheit, der Tiefe, der Ehrlichkeit. Macht das der See mit uns? Seine glatte Oberfläche, unter der es vierzig Meter in die Tiefe geht? Read More
September, 2019 | Anke Fischer
Es ist still. So still, dass wir nichts hören außer unseren Atem, unser Lachen, das Nachfragen und Klappern der Tastaturen beim Schreiben der morgendlichen Aufgabe.
„Schichten“ ist das Thema.
Sinnieren, aus dem Fenster blicken, Sachen packen, Laptop, Jacke und los geht es in die Natur, an den See oder zum Schreibtisch im Gästezimmer, ins Atelier, aufs Sofa – dahin, wo wir am besten schreiben können.
Und nicht nur das. Auch Nachdenken und aufblicken und beglückt sein von der Umgebung, dem Haus, der Kunst überall. Die kleinen Dinge in den Nischen, zwischen Ziegeln oder auf der Fensterbank müssen nicht entdeckt werden, sondern sind einfach da. Wir auch. Die Stille hier schafft das.
…
Zur Mittagszeit treffen wir uns wieder und legen sie frei, unsere Schichten. Haben sie im Dorf entdeckt und aufs Foto gebannt. Haben uns erinnert an die Schichten des Lebens, der Gesellschaft, des Wissens. Wir hören den Geschichten am Küchentisch zu. Hören die Kraft der Worte und die Kraft der Stille, die diese Worte aufs Papier brachte, hier in Woserin.
Erster Tag in Woserin. Auf dem Weg hierher sind wir die letzte halbe Stunde durch Wald gefahren. Ein Auto kam uns entgegen. Woserin liegt versteckt in Mecklenburg-Vorpommern. Und das Gutshaus, unser Domizil für diese Woche, liegt direkt am See. Sonst nur Bäume und Büsche, die sich in den See erstrecken. Kein anderes Haus oder Restaurant oder Kiosk. Nur wir, die Natur und der See.
Von gestern zu heute hat der Herbst Einzug gehalten. Es ist kühl geworden und wir wickeln uns fester in die Jacken während des Spaziergangs um den See. Es gibt auch einen Strand für die Woseriner, der ist etwa zehn Meter lang und hat keinen Sand, sondern Wiese. Und einen Steg. Niemand hier. Nur wir mit unseren Kameras und staunenden Augen. Und atmen durch und lauschen auf die Stille.
Im Haus zurück schreiben wir. Die ersten Aufgaben fließen aus den Fingern. Dann, nach dem gemeinsamen Mittag in der großen schönen Küche, nehmen wir wieder unseren Fotoapparat und gehen auf die Suche. „Verborgene Schönheit“ suchen wir, spüren sie auf und schreiben darüber. Wir lesen und staunen wieder, dieses Mal über die Texte und Geschichten, Betrachtungen und Reflexionen. Und dann ist der erste Tag schon fast vorüber. Der Abend kommt und wir ziehen uns zurück, lesen, essen, betrachten den See.
Unglaubliches Woserin!