Schichten… und Stille

Es ist still. So still, dass wir nichts hören außer unseren Atem, unser Lachen, das Nachfragen und Klappern der Tastaturen beim Schreiben der morgendlichen Aufgabe.
„Schichten“ ist das Thema.
Sinnieren, aus dem Fenster blicken, Sachen packen, Laptop, Jacke und los geht es in die Natur, an den See oder zum Schreibtisch im Gästezimmer, ins Atelier, aufs Sofa – dahin, wo wir am besten schreiben können.
Und nicht nur das. Auch Nachdenken und aufblicken und beglückt sein von der Umgebung, dem Haus, der Kunst überall. Die kleinen Dinge in den Nischen, zwischen Ziegeln oder auf der Fensterbank müssen nicht entdeckt werden, sondern sind einfach da. Wir auch. Die Stille hier schafft das.

Zur Mittagszeit treffen wir uns wieder und legen sie frei, unsere Schichten. Haben sie im Dorf entdeckt und aufs Foto gebannt. Haben uns erinnert an die Schichten des Lebens, der Gesellschaft, des Wissens. Wir hören den Geschichten am Küchentisch zu. Hören die Kraft der Worte und die Kraft der Stille, die diese Worte aufs Papier brachte, hier in Woserin.

….

Daniela:

Schichten

Schichten. Wenn ich erwache, sehe ich Schichten.
Erdschichten. Von der inneren Erdschicht, über die untere Erdschicht bis zur äußeren Erdkruste. Schichten die vor Jahrzehnten entstanden und bis heute halten.
Gesellschaftsschichten. Von der Unterschicht, über die Arbeiterschicht bis zur Elite. Schichten die seit Anbeginn der Menschheit bestehen und so lange wir existieren halten.
Schichten. Wenn ich arbeite, sehe ich Schichten.
Hautschichten. Von der Unterhaut, über die Lederhaut bis zur Oberhaut. Schichten die unseren Köper beschützen und bis zum Tode halten.
Arbeitsschichten. Von der Frühschicht, über die Tagesschicht bis zur Spätschicht. Schichten die unseren Alltag strukturieren und bis zur Rente halten.
Schichten. Wenn ich ruhe, sehe ich Schichten.
Kleiderschichten. Von der Unterwäsche, über Oberteil und Hose bis zur Jacke. Schichten, die wir jeden Tag tragen und bis zum Abend halten.
Kuchenschichten. Vom Biskuitboden, über die Kirschenschicht bis zur Sahneschicht. Schichten, die vor ein paar Stunden entstanden und bis zum Nachmittagskaffee halten.
Alles ist geregelt. Alles ist vorbestimmt. Alles ist sicher.
Nein, ich will keine Schichten mehr. Ich will Geschichten.
Ich will Westerngeschichten, Märchengeschichten, Liebesgeschichten, Actiongeschichten, Kriminalgeschichten, Dramageschichten, Sachgeschichten, Mittelaltergeschichten, Humorgeschichten, Kindergeschichten, Weltraumgeschichten, Fantasygeschichten, Horrorgeschichten, Reisegeschichten. Und.
Und ich will Lebensgeschichten. Ich will deine Lebensgeschichte. Erzähl Sie mir. Sei offen, sei ehrlich, sei direkt.
Schichten. Wenn ich schlafe, träume ich Geschichten.

Irene:

Schichten was für Schichten
Schichten hier und Schichten dort
Schicht, schichter am schichtesten
wer ist schichter denn als ich
steckt das ich doch in der Schicht
stellt sich die Frage, wie find‘ ich hin zum Ich,
das da so mitten drinnen sich versteckt
müsste lösen das SCH und das TEN,
so einfach geht das nicht, oder doch?

Ich zerre rupfe reiße
schneide wild und voller Kraft
es tut sich nix – das SCH und TEN
die rührn sich nicht vom Fleck
da muss es doch ein Mittel geben,
schnell mal was bei Google suchen,
doch was geb ich ein,
so einfach ist das nun auch wieder nicht

Ich versuchs mal mit ‚ner Frage
„wie löse ich die Schichte von meinem Ich“
oh Schreck oh siehe da
der Antworten gibt es viele
„komm zu mir in die Psychotherapie
auf dem Land in der Stadt im Wald am See am Feuer
im Schmelztiegel der Gefühle werden Sch und Ten sich lösen,
es bleibt das reine ICH
du wirst sehen und sofort begeistert sein!
Bitte bringe das Geld in bar
keine Münzen sondern Scheine.
Oh nein, ich schließe die Seite, da muss es doch
noch was andres geben
nicht so teuer, wolln mal schauen.
oh ja: „mit Buddha zum Ich: Wir lösen alte Schichten
in null komma nix, komm wie du bist,
bring was du hast, wir erwarten täglich
fünf Stunden Mitarbeit auf dem Feld,
in der Küche und beim Putzen der WCs“
oh nein, so viel Arbeit will ich nicht,
das ist ja mehr als jetzt.
Was mach ich nur mit diesen blöden Schichten
ich will mein ICH ganz pur
oh was für eine Idee, schnell mal googlen
„Ich ganz pur“ und siehe da,
ein Angebot nach Maß:

„Komm schreiben an den Woseriner See,
da wo das ICH Zuhause ist.“

Für alle Schichten geeignet
(auch für SCH und TEN).
Sei dabei und erlebe täglich:
Schreiben befreit!

…..

Chico:

Schichten

Schichten, oh nee. Muss das sein. Was soll man denn damit anfangen.
Die Schicht, die Schichten. Eine Schicht alleine macht keinen Sinn. Eine Schicht braucht immer Nachbarn, eine Schicht drüber oder drunter.
Wer hat wohl das Wort erfunden? Schichten, das muss jemand gewesen sein, der ein ‚Beschreibung für sein Handeln gebrauch hat. Erst das eine, dann das nächste, dann noch eins. Vielleicht war es ein Maler (warum kommt das Thema wohl von Sabine?) Erst die Grundierung, dann die nächste Schicht und noch eine, und zum Schluss vielleicht die Deckschicht. Dabei gibt es Schichten, die der Darstellung dienen und Deckschichten, die einfach nur einen Schutz darstellen, aber am Ausdruck nicht teilnehmen. Wie fühlt man sich eigentlich als Deckschicht? Man hat keine Farbe, man ist unsichtbar, aber für die Schichten darunter ist man wichtig, als Beschützer eben.
Oder war es doch ein Konditor, der versucht hat, seinem Lehrling zu erklären, dass er erst den Tortenboden braucht, dann kommt eine Creme darauf, dann  wieder eine Backscheibe, dann die nächste Creme, dann der Backdeckel und dann der Tortenguss, die Verzierung.
Oder die Radiotante? Die rät in der Übergangszeit ihren Hörern sich als Zwiebel zu kleiden: in Schichten, damit man sich je nach Wettersituation von Schichten befreien kann und immer richtig angezogen ist.
Oder die Natur. In der Natur ist die oberste Schicht immer zum Schutz gedacht. Die Haut schützt die darunterliegenden Teile vor Austrocknung und Überhitzung. Oft ist die äußerste Schicht auch als Verpackung gedacht. Erst nach Entfernen kommt man an die eigentliche Frucht.
Oder der Geologe. Er beschreibt den Aufbau der Erde anhand von Schichten. Jede Schicht hat ihre Eigenschaften, die dem Verständnis und der Verwendung dienen.
Oder der Psychologe. Auch er arbeitet mit Bewusstseinsschichten. Versucht durch die oberste Schicht immer tiefer in die Psyche einzudringen.
Oder der Techniker: Durch den schichtweisen Aufbau versucht er einerseits Material und Gewicht zu sparen, andererseits die guten Eigenschaften jeweils zu kombinieren. Verbundmaterialen nennt man das dann.
Oder die Zeiterfasser. Sie benutzen das Wort Schicht um Zeiteinheiten zu beschreiben, die Frühschicht, die Tagschicht, die Nachtschicht.
Oder der Historiker. Er teilt die Gesellschaft in n in Schichten ein. Die Oberschicht, die Mittelschicht, die Unterschicht. Dabei ist automatisch eine Wertung vorhanden. In  verschiedenen Parks gab es früher eine Tragepflicht für Schuhe. Damit hat man ganz einfach die Unterschicht ausgegrenzt, die sich keine Schuhe leisten konnte.

Wie fühlt man sich nun als Schicht?
Um dies festzustellen sei hier ein Interview mit einer Lasagnenudel wiedergegeben.

Ich bin leidenschaftlicher Liebhaber von Lasagne. Was wäre eine Lasagne ohne die Teigplatten, die Lasagnenudel?
Ja, da hast du recht. Ich bin in der Tat ein wichtiger Bestandteil der Lasagne, vielleicht sogar der wichtigste. Auf mich baut sich alles auf. Ein Teil von mir liegt immer unten. Was wäre eine Lasagne ohne Boden.

Genau, aber für dich gibt es noch andere Positionen.
Mich gibt es auch in der Mitte und oben. Meine Aufgabe ist es, die verschiedenen Schichten voneinander zu trennen und das Gesamtgebilde zu stabilisieren. Ohne mich wären die ganzen Zutaten eine Art Breit und würden ineinander verlaufen.

Du hältst also die einzelnen Bestandtele voneinander fern.
So kann man das nennen. Das dient einmal der Optik. Das Auge isst schließlich mit. Der Mensch mag es, wenn er die verschiedenen Zutaten alleine sieht. Ich glaube, das braucht er, um sich orientieren zu können. In der Urzeit hat man sich fremden Pflanzen langsam genähert und mit allen Sinnen schrittweise die Verträglichkeit geprüft. Was gut aussah war dann oft auch genießbar.

Welche Eigenschaften brauchst du dazu?
Nun, zunächst muss ich beständig sein gegen meine Nachbarn. Wenn mich meine Nachbarzutat auflösen würden, dann wäre das nicht gut. Dann muss ich bei der fertigen Lasagne in etwa der Konsistenz aller Zutaten entsprechen. Wäre ich wesentlich härter, würde das stören. Deshalb werde ich oft vorgekocht, damit ich schon entsprechend weicher mit meinen Nachbarzutaten zusammentreffe.

Bist du nicht traurig, dass du nicht zu den Geschmacksträgern der Lasagne gehörst?
Bist du dir da sicher. Probiere verschiedene Lasagnenudeln aus und urteile selbst.

Das werde ich tun. Vielen Danke für das Interview

Sehr gerne und guten Appetit.

 

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